[Anhang Huhn] C. J. Cherryh – Der Morgaine-Zyklus

Heute widmen wir uns im Anhang Huhn einer Buchreihe, deren fragwürdiges deutsches Cover wirklich nicht zum Lesen animiert (insbesondere nicht in der Öffentlichkeit). Hinter dem Bild einer vollbusigen Dame im Kettenbikini zwischen zwei Dinosauriern verbirgt sich jedoch ein beeindruckender Zyklus, in dem weder halbnackte Pin-up-Girls noch Dinosaurier auftreten. Stattdessen erwarten uns facettenreiche Charaktere, ein interessanter Hintergrund und jede Menge erschöpfter Reisen zu Pferd. Doch beginnen wir von vorn.

Über die Autorin

Cherryh 2006 (Wikipedia)

Caroline Janice Cherry wurde 1942 in St. Louis in den USA geboren. Sie war und ist eine äußerst umtriebige Schriftstellerin, die bislang allein mehr als 50 SF- und Fantasyromane schrieb und mit ihren Werken zahlreiche Preise gewann, darunter den Hugo Award und den Locus Award, zwei der bedeutendsten Auszeichnungen für SF- und Fantasy-Literatur. Zuletzt erhielt sie 2020 den Prometheus Award.

Ihrer schriftstellerischen Tätigkeit ging sie zunächst neben ihrer Arbeit als Lehrerin für antike Sprachen und Archäologie (Rom und Griechenland) nach. 1979 konnte sie ihren Broterwerb niederlegen, um sich ganz der Schriftstellerei zu widmen.

Das Pseudonym Cherryh legte sie sich auf Anraten ihres ersten Verlegers zu, der befürchtete, dass sich ihr eigentlicher Nachname zu sehr nach Romanze anhöre. Ihre Vornamen kürzte sie zu Initialen ab, um im männlich dominierten SF-Genre ihr Geschlecht nicht sofort preiszugeben.

Bekannt ist Cherryh für ihre beiden großen Universen, denen jeweils Romane und kürze Erzählungen zugeordnet sind. Der Alliance-Union-Zyklus und der Foreigner-/Atevi-Zyklus. Der im Folgenden besprochene Morgaine-Zyklus gehört im weiteren Sinne zum Alliance-Union-Setting, auch wenn hier der SF-Anteil deutlich zugunsten einer eher Fantasy-orientierten Erzählung in den Hintergrund tritt.

Der Morgaine-Zylus (Bände 1–3)

Der erste Band des im Folgenden besprochenen Morgaine-Zyklus, Gate of Ivrel (Das Tor von Ivrel), erschien 1976 als Debütroman der Autorin. Die beiden anderen Hauptbände, Well of Shiuan (Der Quell von Shiuan) und Fires of Azeroth (Die Feuer von Azeroth) erschienen kurz danach, 1978 und 1979. Ein vierter Band, Exile’s Gate, den wir aber an dieser Stelle vernachlässigen werden, erschien 1988. Der deutschsprachige Sammelband „Tore ins Chaos“ (1986) mit dem erwähnten grauenhaften Titelbild enthält die zentrale Romantrilogie und ist antiquarisch erhältlich. Wer Wert auf passendere Titelabbildungen legt, dürfte allerdings mit den englischen Taschenbuchausgaben besser bedient sein.

Handlung

Cover der Heyne-Sammelausgabe von 1986 (Titelbild: Boris Vallejo)

Die Trilogie beschreibt die Reise der geheimnisvollen Morgaine und ihres unfreien Dieners Nhi Vanye i Chya, deren Ziel es ist, die letzten noch offenen uralten Portale zu schließen. Die Portale ermöglichen Reisen durch Raum und Zeit, ihre Funktion ist jedoch mittlerweile den meisten noch lebenden Völkern unbekannt. Es handelt sich um mystische Überbleibsel einer uralten Rasse, deren Aufstieg und schließlich Niedergang eng mit den Portalkräften verbunden war. Die Tore stellen eine konstante Gefahr nicht nur für die Welten, auf die sie einwirken, sondern auch für die Stabilität des gesamten Multiversums dar. Die Unterhöhlung der Zeit in Verbindung mit den gewaltigen durch die Tore gebundenen Kräften birgt die Gefahr eines universalen Kollapses. Allein Morgaine ist mit einem kosmischen Artefakt, einem Schwert mit allesverschlingenden Kräften, in der Lage, die Tore zu schließen und so das Unheil endgültig zu bannen.

Die drei Romane folgen inhaltlich aufeinander. Jeder der Romane thematisiert jeweils die Reise Morgaines und Vanyes durch eine Welt mit dem Ziel, ein Portal zu durchschreiten und dabei endgültig zu schließen. Die drei vorgestellten Welten unterscheiden sich einerseits voneinander – von einer politisch zersplitterten Welt mit kompliziertem Sozialgefüge geht es über eine dem Untergang geweihte Sumpflandschaft hin zu einer vom Unheil bedrohten Idylle. Andererseits zieht sich die Beeinflussung der Bewohner:innen und ihrer Umwelt durch die Magie der Portale als roter Faden durch den Hintergrund.

Die Reise der beiden Hauptcharaktere durch die besuchten Welten besteht nicht nur aus den beschwerlichen Wegabschnitten und dem Kampf gegen widrige Umweltbedingungen, sondern beinhaltet unweigerlich den diplomatischen wie auch kriegerischen Umgang mit lokalen Mächten und der jeweiligen Bevölkerung. Im Verlauf ihrer Reise finden Vanye und seine Herrin daher zwar einige Freund:innen und Verbündete, machen sich aber auch eine gehörige Menge an Feind:innen, denn selbstverständlich löst ihr Plan, die Welten ihrer letzten Magiequellen zu berauben, nicht nur Freude aus. Insbesondere nicht bei jenen, die von der Magie (gewöhnlich auf Kosten anderer) zu profitieren wissen.

Ein interessanter und überraschend vielschichtiger Gegenspieler, Vanyes Cousin Roh, dessen Körper und Geist von einem alten Übel befallen wird, begleitet die beiden Hauptcharaktere durch die Handlung. Sein Schicksal ist ebenso wie ihres mit den Toren verknüpft.

Erzählperspektive

Die gesamte Handlung wird uns, was typisch für die Autorin ist, durch einen personalen Erzähler präsentiert, in diesem Fall den Ilin (Unfreien) Vanye, der durch einen Eid an Morgaine gebunden ist. Seine Herrin (liyo) Morgaine ist zwar eine zentrale Figur der Handlung, wird uns jedoch nur indirekt durch den oft nicht gut informierten Vanye vorgestellt. Morgaine wirkt durch die eingeschränkte Erzählsicht über weite Teile der Geschichte recht undurchschaubar und wechselweise überirdisch/unnahbar und verletzlich/menschlich. Erst nach und nach (und auf äußerst subtile Art und Weise) lernt Vanye und damit auch der/die Leser:in sie besser kennen. (Bemerkenswert ist übrigens die ganz im Gegensatz zum grässlichen deutschen Coverbild stehende Darstellung Morgaines, die stets als anständiger und absolut auf ihre Aufgabe fokussierter Charakter und beinahe prüde in Bezug auf menschliche Nähe dargestellt wird.)

Spannung wird nicht selten dadurch erzeugt, dass Vanye von Morgaine getrennt auf sich gestellt ist und auch wir als Lesende erst mit ihm zusammen herausfinden, wie es weitergeht. Auch das zwiespältige Verhältnis zu Roh lebt von der strengen Beschränkung der Erzählung auf die persönlichen Eindrücke des in diesem Punkt befangenen Vanye.

So wird Vanye, obwohl „nur“ unfreier Begleiter seiner Herrin, für uns als Lesende zur relevanten Haupt- und Identifikationsfigur, an deren Schicksal wir Anteil nehmen. Die (Selbst-)Befreiung des Knechts aus seiner Unfreiheit ist ein relevantes der Handlung zugrundeliegendes Thema und findet sich auch in anderen Romanen der Autorin häufig wieder.

Rollenspielinspiration: Soziales Gefälle innerhalb der Spielgruppe

Im heutigen Blogeintrag wollen wir uns einmal das Verhältnis zwischen Liyo Morgaine und ihrem Ilin Vanye als Inspiration fürs Rollenspiel näher anschauen. Die typische Fantasy-Abenteuergruppe besteht aus mehr oder weniger gleichwertigen Held:innen, die gemeinsam unterwegs sind und ihre Entscheidungen ebenso gemeinsam treffen. Das Verhältnis zwischen Morgaine und Vanye ist jedoch eindeutig hierarchisch aufgebaut: Morgaine ist die Herrin, Vanye hat als unfreier Diener zu folgen, auch wenn er ihre Entscheidungen oft nicht gutheißt. Wie lässt sich nun ein solches soziales Gefälle im Rollenspiel umsetzen, ohne dass eine Person den Spieltisch dominiert?

Die besprochene Romanreihe zeigt uns, dass das Spotlight, also der Handlungsfokus nicht unbedingt auf der sozial höhergestellten Figur liegen muss. Auch wenn sie die gesellschaftlich „wichtigere“ Person sein mag, muss sie nicht die erzählerisch relevante Figur in jeder Szene sein. Vanyes Sicht auf die Geschichte macht viele Situationen erst richtig spannend, indem er als Unwissender von Außen auf Geschehnisse blickt, in denen Morgaine als Erzählerin nichts für sie Neues erleben würde.

Die jeweilige soziale Stellung der Charaktere kann sich auch als Vorteil erweisen: Jede Spielfigur bringt ihre eigenen Fähigkeiten, Fertigkeiten und Kenntnisse mit, vor allem was den sozialen Umgang anbelangt. Der Stallbursche etwa kommt problemlos mit dem Gesinde ins Gespräch, während seine Herrin wiederum mit den adligen Ballgästen kommunizieren kann. Andersherum wird der Bedienstete leicht übersehen, wenn er an den adligen Gästen vorbei in Privatgemächer huscht, während es niemand wagen wird, die Prinzessin aufzuhalten, wenn sie sich Zugang zur verschlossenen Vorratskammer verschaffen möchte.

Andersherum können Szenen außerhalb der Komfortzone der Charaktere für Spannung sorgen. Hier können die Charaktere viel voneinander lernen. Der stadtbekannte Tunichtgut lehrt den obersten Kammerdiener ein paar taugliche Trinksprüche, während der Kammerdiener ihm umgekehrt zeigt, wie man in feiner Gesellschaft ein Fischbesteck benutzt. So können sich beide Seiten im Laufe der Zeit persönlich aneinander annähern und möglicherweise soziale Schranken einreißen.

Im Morgaine-Zyklus gibt es für Beispiele für beide Situationen. So gibt es eine Reihe von Szenen, die den jeweiligen Figuren nur aufgrund ihres Status zugänglich waren – Morgaine kommt mit den qujal aufgrund ihrer eigenen Herkunft leicht ins Gespräch. Vanye wiederum hat aufgrund seiner Verwandtschaft zu ihm einen sehr persönlichen Zugang zu Roh. Morgaine lehrt Vanye die Sprache ihres Volkes, während Vanye sie an ihre Menschlichkeit erinnert. So nähern sich beide aneinander an.

Zu guter Letzt sei ganz praktisch angemerkt, dass ein befehlsgewohnter Charakter nicht einer/m befehlsgewohnten Spielenden gleichkommen muss. Auch wenn die Spielfigur weisungsbefugt ist, sollten relevante Befehle immer mit der Spielgruppe abgesprochen werden, sodass alle Gruppenmitglieder Spaß am Spielverlauf haben. Zudem können sich die anderen Charaktere auch stets entscheiden, sich einem Befehl zu widersetzen (selbst der überaus pflichtbewusste Vanye tut das gelegentlich, wenn er die Ausführung eines Befehls nicht über sich bringt). Die entstehenden (spielinternen!) Spannungen können zu einer interessanten Gruppendynamik beitragen.

Traut euch also ruhig, auch einmal „asymmetrische“ Gruppen zu spielen!

Weiterführende Informationen

Wikipedia-Eintrag zu Caroline Janice Cherryh.

Wikipedia-Eintrag zu den in den Werken der Autorin oft behandelten Themen.

Cherryhs Blog, scheint allerdings nicht mehr akualisiert zu werden.

Ein Kommentar zu „[Anhang Huhn] C. J. Cherryh – Der Morgaine-Zyklus

  1. Ich muß hier mal kurz zwei Dinge sagen: C.J.Cherryh ist großartig und man sollte alles von ihr lesen was man kriegen kann. ^_^
    Und das Cover ist von Boris Vallejo und der ist ebenso großartig. Der hat genauso nackte Männer gezeichnet. Hat aber wirklich nichts mit dem Inhalt zu tun. ^_^°

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